Zum Jahresende 2023 – von unserem Präsidenten

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Geschätzte Kameraden

Das 2023 neigt sich dem Ende zu. Gerne gebe ich Euch zum nahenden Jahresende einige Gedanken zur Sicherheit mit, welche mich persönlich beschäftigen. Es geht dabei nicht um eine systematische Analyse, sondern um den Versuch einer groben Einschätzung der Lage.

Multikrisen

In den letzten zwei Jahren hat die Polarisierung in der Welt stark zugenommen. Die Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen sowie die Spannungen im Indopazifik um Taiwan zwischen der Volksrepublik China und den USA sind Realität. Ich muss feststellen, dass die in den letzten Jahrzehnten scheinbare „Befriedung“ der Welt einer mehrdimensionalen Machtpolitik und Blockbildung gewichen ist. Einen wesentlichen Einfluss haben dabei die vielen „kleinen“ Konflikte, welche in den letzten Jahren nach dem Wegfall der grossen Blöcke (Ost-West) durch die Weltgemeinschaft nicht nachhaltig gelöst werden konnten. Machtpolitik, Einfluss und wirtschaftliche Interessen werden wieder mit den Mitteln der Macht nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene, sondern auch durch militärische Intervention durchgesetzt. Eine Situation, welche in der Geschichte in den letzten Jahrhunderten immer wieder zu grossflächigen Krisen, Kriegen, grossen Schäden an der Gesellschaft, Wirtschaft und „Un-Ordnungen“ geführt hat.

Ungelöste Konflikte

Die Welt und Europa haben unter dem Eindruck des zweiten Weltkrieges und dem kalten Krieg versucht, nachhaltigen Frieden zu erreichen. Um dieses Ziel zu erreichen wurden verschiedene Institutionen wie etwa die UNO geschaffen. Leider muss man feststellen, dass die Mittel zur friedlichen Lösungsfindung in den letzten Jahren fortlaufend an Bedeutung und Einfluss verloren haben. Dafür gibt es mehrere dutzend Gründe. Die Unfähigkeit der Weltgemeinschaft, Konflikte nachhaltig zu lösen, ist sicher ein wesentlicher Aspekt davon. Leidtragende sind dabei in erster Linie die betroffene Bevölkerung und die Zivilgesellschaft als Ganzes. Unter dem «Deckmantel» der Bekämpfung von Terroristen wird uns im Gaza-Streifen und in der Ukraine tagtäglich vor Augen geführt, welchem Leid die Zivilbevölkerung durch militärische Konflikte ausgesetzt ist. Das Gleiche gilt auch für Dutzende von weiteren regionalen Konflikten, wie beispielsweise in Afrika, die uns auf Grund der marginalen Berichterstattung fernab der Titelseiten wenig präsent sind.

VUCA – Welt

Vor einigen Jahren ist der Begriff VUCA aufgekommen. Das Wort VUCA steht als Akronym für «volatility» (Volatilität), «uncertainty» (Ungewissheit), «complexity» (Komplexität) und «ambiguity» (Zweideutigkeit). Die sicherheitspolitische Lage in der Welt kann sehr wohl mit diesem Begriff umschrieben werden. Wir befinden uns in einer komplexen Situation mit vielen Abhängigkeiten. Wirtschaftliche Interessen, Gesellschaftsentwicklungen, Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung der Interessen und die rasante technologische Entwicklung spielen in unterschiedlichen Ausprägungen zusammen. Es stellt sich die Frage, ob und wie die Weltgemeinschaft in der Lage ist, diese komplexen Systeme langfristig und geordnet unter Kontrolle zu halten. Vor dem Hintergrund der Menge an Konflikten und ihrer Komplexität kann diesbezüglich eine begründetet Skepsis entstehen.

Wie weiter?

Es muss davon ausgegangen werden, dass sich die sicherheitspolitische Situation in den nächsten Jahren nicht deutlich verbessern wird. Die Sorge um weitere Eskalationen und die Zunahme der Komplexität sollte Massstab unseres Handelns sein. Die Macht des Stärkeren, sowohl in der Wirtschaft wie auch im Bereich der Sicherheit, ist ein Fakt. Dazu braucht es eine starke Sicherheitspolitik und eine resiliente Gesellschaft. Werte wie Zusammenhalt, gegenseitiger Respekt, stabile Systeme und die Fähigkeit, unsere Freiheit zu verteidigen, sind zentrale Wesenszüge der Willensnation Schweiz, die wir unter keinen Umständen aufgeben dürfen. Das zentrale Instrument hierfür ist unsere Sicherheitspolitik. Unter dem Eindruck der wesentlichen Verschlechterung der sicherheitspolitischen Weltlage hat die Armee als einer der wesentlichen Pfeiler der Sicherheitspolitik in der Schweiz verstanden, dass Helfen und Schützen nicht genügt und wir wieder in der Lage sein müssen, uns zu verteidigen. Dazu sind in den nächsten Jahren folgende Faktoren zentral:

  1. Stark und resilient sein:

Wir müssen wieder in der Lage sein, Stärke zu zeigen. Stärke kann Konflikte nicht lösen, jedoch die notwendige Zeit verschaffen, um Konflikte zu deeskalieren und Lösungsansätze zu finden. Konkret muss die Schweizer Armee in der Lage sein, eine nachhaltige Stärke und Resilienz zu demonstrieren. Die Kompetenz zur subsidiären Unterstützung sowie die Fähigkeit, den Schutz sicherzustellen und im Notfall auch unsere Bevölkerung und unser Land zu verteidigen, darf dafür der einzige Gradmesser sein.

  1. Finanzielle Mittel:

Es müssen die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, um einerseits eine zeitgemässe Ausrüstung der Armee sicherzustellen und anderseits unsere in die Jahre gekommenen System zu erneuern sowie die notwendigen Reserven für die Durchhaltefähigkeit zu schaffen. Der CdA hat den Investitionsbedarf bis 2035 auf rund 40 bis 50 Milliarden Schweizer Franken beziffert. Bedingt durch die Schuldenbremse besteht die begründete Sorge, dass diese Mittel nicht zeitgerecht zur Verfügung stehen werden bzw. erst in späteren Jahren zur Verfügung stehen. Das heisst in der Konsequenz, dass die Schweizer Armee erst in den 2040er-Jahren wieder in der Lage ist, unser Land, auch wenn es heute uns als unwahrscheinlich erscheint, im äussersten Fall zu verteidigen. Dies ist vergleichbar mit der Situation in den zwanziger und dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts, als die Schweizer Armee ungenügend ausgerüstet mit relativ plötzlich mit den Verwerfungen des zweiten Weltkrieges konfrontiert war.

  1. Moderne und (Voll-)Ausrüstung:

Die Modernisierung der Armee ist geprägt von Beschaffungszyklen, welche mehrere Jahrzehnte dauern können. Dies führt in der aktuell angespannten Sicherheitslage dazu, dass wir bereits heute zu spät sind. Die einzige Antwort darauf ist, dass wir die Streitkräfte adaptiv ausrüsten müssen. Adaptiv heisst in diesem Fall, eine schnelle Einführung von neuem Material und Technologien voranzutreiben, um über diese Fähigkeiten zu verfügen und erst in einem zweiten Schritt die Ausrüstung von allen Verbänden zu ermöglichen. Wahrscheinlich ist dies noch die Beste aller möglichen Lösungen. Wir dürfen aber die Augen nicht davor verschliessen, dass mit diesem Vorgehen das Risiko einer Zweiklassenarmee evident wird. Es kann und darf nicht sein, dass ein Teil der Verbände mit altem Material und heute ungeeigneter Ausrüstung in einen Einsatz gebracht werden muss. Wir müssen alles unternehmen, dass unsere Verbände in der Lage sind, den Auftrag erfolgreich zu erfüllen. Dazu gehört neben einer erstklassischen Ausbildung und der Fähigkeit zur Auftragserfüllung auch der maximale Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten.

  1. Alimentierung

Die Armee muss in der Lage sein, genügend Soldatinnen und Soldaten aufbieten zu können. Die derzeitigen Bestände lassen dies nicht zu. Systeme aus der Vergangenheit, wie bspw. die Möglichkeit ohne Gewissensprüfung in den Zivildienst zu wechseln, sind durch die Verschlechterung der sicherheitspolitischen Lage überholt. Es ist daher nur konsequent, dass diese durch die Politik auf den Prüfstand gestellt werden. Taktische und parteipolitische Präferenzen dürfen dabei keine Rolle spielen. Schliesslich geht es um die Sicherheit der Schweiz.

Was ich mir im Jahr 2024 wünsche?

Die Sicherheitspolitik ist kein kurzfristiges Geschäft. Es braucht alle Kräfte in unserem Land, welche sich langfristig mit einem Horizont von mehreren Jahrzehnten dafür einsetzen.

Der Einheit unseres Landes ist über alle Grenzen hinweg Sorge zu tragen. Bei allen parteipolitischen Differenzen und dem gesellschaftlichen Wandel sind die Werte der Schweiz und die Einheit in dieser Sache ein zentrales Element, das wir nicht leichtfertig aufgeben dürfen. Als Staatsbürger und Offiziere haben wir uns dieser Verpflichtung zu stellen.

Die Modernisierung der Armee und die Erreichung aller Fähigkeiten – Helfen, Schützen und Verteidigen – muss mit Hochdruck vorangetrieben werden. Die finanziellen Rahmenbedingungen dürfen kein Hindernis sein. Dabei ist darauf zu achten, dass die Mittel zielgerichtet und effizient eingesetzt werden.

Hinterfragen wir Konzepte aus der Vergangenheit (bspw. den Zivildienst) und erkennen wir die Bedürfnisse für die Zukunft! Wir müssen bereit sein, konsequent die notwendige Alimentierung der Armee zu fordern.

Vertrauen und Einheit sind wichtig. Bringen wir uns als Offiziere in die Diskussionen aktiv ein und sensibilisieren wir unser Umfeld auf die Wichtigkeit einer modernen, gut ausgebildeten und einsatzfähigen Armee als tragende Säule der Sicherheit der Schweiz.

Nun wünsche ich Euch und Euren Angehörigen schöne Festtage und einen guten «Rutsch» ins neue Jahr, verbunden mit der Hoffnung, dass das Jahr 2024 wieder einige Lichtblicke und Indikationen für eine Lösung der offenen Konflikte für uns bereithält.

 

Kameradschaftliche Grüsse

Oberst i Gst Markus Schegg
Präsident der Appenzellischen Offiziersgesellschaft

P.S. Diskussionen sind wichtig, gerne stelle ich mich diesen! Feedbacks zu meinen Ausführungen sind ausdrücklich erwünscht! (direkt unter: praesident@appog.ch)

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