“Sicherheit ist nicht selbstverständlich”

Share this...

Im Wochenblatt-Interview spricht Bundesrätin Viola Amherd darüber, warum sowohl die Armee als auch der Bevölkerungsschutz verbessert werden muss und weshalb der Kampf gegen Cybercrime ganz oben auf der Prioritätenliste steht.

Interview: Fabia Maieroni

Die Bedrohungslage in Europa war seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr so gross wie heute – doch die Schweizer Armee kämpft mit Personalmangel und teilweise veralteter Technik. Frau Amherd, kann sich die Schweiz im Ernstfall auch ohne die Nato verteidigen?
Als neutraler Staat hat die Schweiz den Anspruch, sich selbstständig verteidigen zu können. Das verlangt die bewaffnete Neutralität, wie sie die Schweiz praktiziert. Allerdings ist auch klar, dass selbstständige Verteidigung nicht unbeschränkt möglich ist. Je nachdem, wie mächtig ein Angreifer ist und über welche Mittel er verfügt, wären wir in der Verteidigung auf Zusammenarbeit angewiesen. Das ist auch der Grund, warum unsere Armee nicht nur gut ausgerüstet und einsetzbar sein muss, sondern auch international zusammenarbeiten können muss. Die Schweiz will für den Fall eines bewaffneten Angriffs die Option haben, sich selbstständig zu verteidigen oder ihre Verteidigung zusammen mit anderen Staaten zu organisieren. Das ist und war schon immer Teil unserer sicherheitspolitischen Strategie.

Besteht denn zwischen der Schweiz und den Nachbarstaaten Frankreich und Deutschland ein Austausch bezüglich der Sicherheit der Metropolregion Basel?
Wir arbeiten im VBS auf verschiedenen Ebenen und intensiv mit unseren Nachbarstaaten zusammen. Die Armee kooperiert im Luftpolizeidienst und weiteren Aktivitäten der Luftwaffe oder auch bei der Ausbildung mit den Ländern. Ein anderes Beispiel ist der Bevölkerungsschutz. Hier erhält die nationale Alarmzentrale im Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS internationale Meldungen und kann reagieren, falls wegen eines Ereignisses im Nachbarland auch für die Schweiz Massnahmen nötig sind. Zudem gibt es grenzüberschreitende Zusammenarbeit etwa in den Bereichen Radioaktivität und Chemie. All diese Kooperationen werden mit internationalen oder bilateralen Abkommen geregelt.

Die Schweiz kämpft jedoch mit maroden Schutzräumen, zu wenig Personal und Mitteln. Bezüglich Bevölkerungsschutz gibt es Aufholbedarf; zu diesem Schluss kommt ein Bericht des Bundesamts für Bevölkerungsschutz (BABS). Wo gilt es zuerst anzusetzen?
Der Krieg in der Ukraine zeigt drastisch die Betroffenheit und das Leid der Zivilbevölkerung und damit die Bedeutung des Bevölkerungsschutzes. Die Analysen, die wir vorgenommen haben, zeigen, dass wir – neben der Armee – auch die Leistungsfähigkeit des Bevölkerungsschutzes mit Blick auf bewaffnete Konflikte verbessern müssen. Zum Beispiel durch eine Überprüfung und Anpassung des Leistungsprofils des Zivilschutzes, ein neues Konzept für den künftigen Bedarf an Schutzbauten, die Weiterentwicklung der Systeme für die Alarmierung und Information oder die Stärkung des ABC-Schutzes.

Wechseln wir in den Luftraum: Das Parlament hat kürzlich den Kauf von 36 Kampfflugzeugen des Typs F-35A durchgewinkt – ein US-amerikanischer Flieger, der für viel politischen Gegenwind sorgte. Warum ist die Wahl nicht auf einen europäischen Flieger gefallen?
Das ist ganz einfach: Weil der F-35A nun einmal der Beste und auch der Günstigste war. Die Typenwahl für die Beschaffung der neuen Kampfflugzeuge ist auf der Grundlage einer umfangreichen Evaluation gefällt worden, an der neben zwei amerikanischen auch zwei europäische Kandidaten teilgenommen haben. Das Resultat ist klar: Der F-35A ist das Kampfflugzeug mit dem höchsten Gesamtnutzen und gleichzeitig den tiefsten Gesamtkosten. Übrigens setzen zahlreiche andere europäische Staaten ebenfalls auf den F-35A – was ihn künftig in Europa zum am weitesten verbreiteten Kampfflugzeug macht. Der F-35A wird uns also durchaus Möglichkeiten für eine verstärkte Zusammenarbeit mit europäischen Partnern bieten.

Trotz der gestiegenen Bedrohungslage ist die Gefahr eines Angriffes auf die Schweiz nach wie vor als gering einzuschätzen. Gilt das auch in Bezug auf Cyberbedrohung?
Nein, im Cyberbereich ist die Situation grundlegend anders. Staatliche Grenzen und geografische Distanzen bieten hier keinen Schutz. Die Schweiz ist bereits heute bzw. seit längerer Zeit selber auch Ziel von Cyberangriffen, wie andere europäische Staaten auch. Beim grössten Teil dieser Angriffe geht es um kriminelle Motive wie Betrug oder Erpressung. Aber auch Cyberangriffe zu Spionagezwecken oder zur Beeinflussung und Desinformation nehmen tendenziell zu. Wir erachten generell die Bedrohungen im Cyberbereich als zunehmendes Sicherheitsproblem, auch für die Schweiz, und haben dieses Thema deshalb als eine der sicherheitspolitischen Prioritäten der nächsten Jahre definiert. Wir haben in den letzten Jahren schon viel für einen besseren Cyberschutz getan, zum Beispiel die Einführung des Cyberlehrgangs der Armee oder auch die Gründung des Cyber-Defence-Campus als Bindeglied zwischen VBS, der Industrie und der Wissenschaft in Forschung, Entwicklung und Ausbildung für die Cyberabwehr. Wir wollen und müssen uns hier aber für die Zukunft noch weiter verbessern. Dazu schaffen wir unter anderem ein neues Cyberkommando bei der Armee.

 

(VBS: https://www.vbs.admin.ch/de/home.detail.news.html/vbs-internet/interviews/2022/221020a.html)

140100cookie-check“Sicherheit ist nicht selbstverständlich”no